Verfassungswidrigkeit einzelner Befugnisse des BKA zur Datenerhebung
Das BVerfG hat mit Urteil vom 01. Oktober 2024 entschieden, dass Teile des Bundeskriminalgesetzes verfassungswidrig sind.
Konkret ging es um die Befugnis des Bundeskriminalamtes zur Datenspeicherung von Beschuldigten im „polizeilichen Informationsverbund“ und zur Datenerhebung in Fällen von Kontaktpersonen von Terrorverdächtigen. In beiden Fällen liegt ein Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG vor.
Die zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde wurde 2019 von Rechtsanwältinnen, politischen Aktivisten und Mitgliedern der organisierten Fußball-Fanszene eingereicht.
Zu den einzelnen Regelungen führte das BVerfG aus:
Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 darf das Bundeskriminalamt von Beschuldigten bereits erhobene personenbezogene Daten i.S.d § 18 Abs. 2 Nr. 1 weiterverarbeiten. Diese Weiterverarbeitung erfasste aber auch die Speicherung dieser Daten in den polizeilichen Informationsverbund gemäß §§ 13 Abs. 3, 29 BKAG.
Diese konkrete Möglichkeit der Speicherung ist laut BVerfG verfassungswidrig. Die Speicherungsbefugnis stelle einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. In diesem Kontext sei insbesondere die Verwendungsmöglichkeit und der Zugriff durch eine Vielzahl von anderen Behörden zu berücksichtigen. Dem erheblichem Gewicht des Eingriffes würden dabei keine hinreichenden Grenzen gesetzt. Erforderlich sei mindestens die Festlegung eines angemessenen Speicherzwecks und einer Speicherschwelle sowie einer angemessenen Speicherdauer.
Eine Speicherung von Daten käme zum Zwecke der Verhütung und Verfolgung nur bei einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Verbindung zu Straftaten in Betracht. Das Abstellen auf die Beschuldigteneigenschaft allein genüge dieser Anforderung bei weitem nicht, da allein mit dieser Eigenschaft weder eine tatsächlich vorliegende noch eine zukünftige Verbindung zu Straftaten begründet werden kann.
Die Speicherschwelle müsse dabei die Gefahren der vorsorglichen Speicherung angemessen berücksichtigen. Die Regelung sei dafür zu offen und differenziere nicht ausreichend. Eine Lösung wäre eine Prüfung der Erforderlichkeit der Speicherung im Einzelfall oder eine fachrechtliche Negativprognose. Da beides nicht vorgesehen sei, genüge die Vorschrift auch diesbezüglich nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
Auch die Anforderungen an die Löschung der Daten seien nicht ausreichend konkret geregelt und verstießen insbesondere gegen das BDSG.
§ 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKAG statuiert besondere Datenerhebungsbefugnisse des Bundeskriminalamtes in Form von heimlichen Überwachungsmaßnahmen gegenüber Kontaktpersonen von Terrorverdächtigen. Gemäß § 45 Abs. 2 BKAG erfasst die Befugnis die Anordnung längerfristiger Observationen, den Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern sowie weiterer Eingriffsmaßnahmen. Diese Regelung ist nach Ansicht des BVerfG nicht verhältnismäßig im Hinblick auf die Rechtfertigung einer heimlichen Überwachungsmaßnahme der Polizei als besonders schwere Eingriffsmaßnahme. Die Regelung sei schon bezüglich terroristisch Verdächtigter nicht verfassungsgemäß und eine Verfassungsmäßigkeit bezüglich bloßer Kontaktpersonen müsse somit erst Recht ausscheiden. Die Anforderungen des Nr. 4 würden aufgrund des Rückriffs auf § 39 Abs. 2 Nr. 1 BKAG, der lediglich die Annahme des Vorhabens einer terroristischen Straftat verlangt, weit hinter den Voraussetzungen für besondere Mittel der Datenerhebung bei verantwortlichen Personen nach den § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2 BKAG zurückbleiben. Erforderlich wäre das Vorliegen einer hinreichend konkreten Gefahr. Zu dieser Gefahr müsste die Kontaktperson außerdem in einer zusätzlichen individuellen Nähe stehen. Mangels dieser Voraussetzungen des Eingriffs sei die Vorschrift verfassungswidrig.
Die Verfassungsbeschwerde richtete sich zudem gegen § 16 Abs. 1 BKAG. Diese Regelung erlaubt dem Bundeskriminalamt die interne Weiterverarbeitung personenbezogener Daten in einem eigenen Informationssystem. Erforderlich ist dafür, dass die Weiterverarbeitung zur Erfüllung der Aufgaben des BKA notwendig ist und keine zusätzlichen besonderen Voraussetzungen durch das BKAG bestimmt sind. Eine Verfassungswidrigkeit dieser Regelung ist nach Ansicht des BVerfG nicht gegeben. Insbesondere seien die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine zweckwahrende Nutzung durch die Begrenzung auf die ausschließliche Nutzung im Rahmen derselben Straftat und Aufgabe gewahrt. Auch die Löschungsvorgaben würden hier die Zweckbindung der Datenverarbeitung ausreichend sichern.
Eine Neuregelung der Vorschriften muss bis zum 31.07.2025 erfolgen. Solange gelten die verfassungswidrigen Vorschriften mit folgenden Maßgaben fort:
Die Speicherung von Daten von Beschuldigten gilt unter der Bedingung fort, dass es einer spezifischen Negativprognose bedarf. Durch diese Negativprognose muss im Einzelfall bestimmt werden, ob eine ausreichende Verbindung zu möglichen Straftaten wahrscheinlich ist.
Bezüglich § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKAG gilt, dass bis zur Neuregelung zusätzlich eine der in § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 oder 3 geregelten Voraussetzungen durch den eigentlichen Verdächtigen erfüllt werden muss.
© November 2024, Niklas Dörpinghaus, Stefan Müller-Römer